Fleißbienchen oder Hassmails?

Am 8. März star­te­te die GEW ei­ne neue Kam­pa­gne: Glei­ches Geld für Grund­schul- und Gym­na­si­al­leh­rer. Der NDR be­rich­te­te dar­über in »Hal­lo Nie­der­sach­sen«: 212 Se­kun­den für ein kom­ple­xes The­ma. Ich soll­te die Sei­te der Gym­na­sia­ler re­prä­sen­tie­ren. Seit­her sam­meln sich Hass­mails von Grund­schul­leh­re­rin­nen in mei­ner Inbox.

So­wohl im ent­spre­chen­den Bei­trag des NDR als auch in den sach­li­che­ren Zu­schrif­ten kris­tal­li­sie­ren sich drei Haupt­ar­gu­men­te her­aus, wes­we­gen die Lehr­kräf­te an den Grund­schu­len nicht nur ein Fließ­bi­en­chen ver­dient ha­ben, son­dern ei­ne sat­te Er­hö­hung ih­rer Be­zü­ge auf das Ni­veau von Gym­na­si­al­leh­rern. – Und wo, wenn nicht hier, soll­te ich in der Aus­führ­lich­keit Stel­lung da­zu neh­men, die in 3:32 kei­nen Platz ge­fun­den hat?

Ers­tens: Die Grund­schu­len tra­gen die Last der Heterogenität.
Das ist rich­tig. Al­lein, die­se Last tra­gen auch die Gym­na­si­en: in mei­ner 9. Klas­se sit­zen 29 Kin­der – na­tür­lich sind al­le von ih­nen In­di­vi­du­en, aber mehr als 20% wei­sen ei­nen oder meh­re­re Grün­de für be­son­de­re Auf­merk­sam­keit auf. Wenn wir blo­ßen Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund an­ge­ben, sind wir bei rund 40% – aber da kann ich mich auch sel­ber ein­schlie­ßen. Üb­ri­gens: Auf He­te­ro­ge­ni­tät und Bin­nen­dif­fe­ren­zie­rung und In­klu­si­on be­rei­tet das Stu­di­um auf ein gym­na­sia­les Lehr­amt so gut wie nicht vor! Die Grund­schul­leh­rer­idee, am Gym­na­si­um sä­ßen nur wohl­erzo­ge­ne, pfle­ge­leich­te, wiss­be­gie­ri­ge Kin­der, ist al­so ei­ne Il­lu­si­on. Leider.

Zwei­tens: Die Grund­schu­len be­rei­ten die Gym­na­si­al­lauf­bahn vor.
Das ist rich­tig. Al­lein, wir Gym­na­si­al­leh­rer be­rei­ten das Stu­di­um vor. Auf die Idee, ich müs­se des­we­gen das­sel­be ver­die­nen wie ein Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor, kom­me ich den­noch nicht. Auch könn­te man kri­tisch nach­fra­gen, ob bei­spiels­wei­se die um­strit­te­ne An­laut­ta­fel­me­tho­de tat­säch­lich ei­ne so gu­te Vor­be­rei­tung auf das Gym­na­si­um oder auf das Le­ben all­ge­mein ist – doch führt das de­fi­ni­tiv zu weit, da man für ei­ne ehr­li­che De­bat­te min­des­tens nach ein­zel­nen Schu­len, bis­wei­len gar bis zu ein­zel­nen Lehr­kräf­ten dif­fe­ren­zie­ren müss­te, um die Qua­li­tät der Vor­be­rei­tung nä­he­rungs­wei­se fair zu be­schrei­ben. Fakt bleibt: Die Vor­be­rei­tung auf et­was steht in kei­nem Kau­sal­zu­sam­men­hang zur Über­nah­me der nächst­hö­he­ren Besoldungsstufe.

Drit­tens: Die Grund­schu­len wa­ren bei der Ar­beits­zeit­er­hö­hung solidarisch.
Das ist rich­tig. Al­lein, es gibt mei­nes Er­ach­tens durch­aus ei­nen Un­ter­schied, sich ge­gen ei­ne will­kür­li­che Ent­schei­dung der Lan­des­re­gie­rung zu stel­len, die le­dig­lich ei­nen ganz be­stimm­ten Teil der Leh­rer­schaft über Ge­bühr be­las­tet hat (denn ja, der Rechts­weg hat ja ge­zeigt, dass die 24,5 Wo­chen­stun­den nicht rech­tens wa­ren) – und an­de­rer­seits für ei­ne mit­tel­mä­ßig be­grün­de­te Lohn­stei­ge­rung um na­he­zu 20% net­to ein­zu­tre­ten, um gleich zu be­zah­len, was mei­nes Er­ach­tens tat­säch­lich nicht gleich ist.

Zwi­schen­fa­zit: Ich ver­ste­he, dass bei Lehr­kräf­ten an Grund­schu­len die Ner­ven blank lie­gen. Von In­klu­si­on bis Be­treu­ung von teils trau­ma­ti­sier­ten Flücht­lings­kin­dern wird al­les in der Schu­le ab­ge­la­den, gleich­zei­tig ex­plo­die­ren links die Bü­ro­kra­tie und von rechts gibt es sei­tens El­tern und Ge­sell­schaft zu viel Druck und zu we­nig An­er­ken­nung. – Al­lein gilt auch hier: Auch das Gym­na­si­um in­klu­diert, auch das Gym­na­si­um be­treut Flücht­lings­kin­der. Si­cher­lich in ei­nem an­de­ren Aus­maß, da­für aber in grö­ße­ren Lern­grup­pen und durch Lehr­kräf­te, die auf He­te­ro­ge­ni­tät deut­lich schlech­ter vor­be­rei­tet sind. Bei uns kommt hin­zu, dass erst G8 über­has­tet ein­ge­führt wur­de und dann G9 eben­so über­has­tet zu­rück­kam – mit neu­en Stun­den­ta­feln, neu­en und teils völ­lig un­sin­ni­gen Stoff­ver­tei­lungs­plä­nen, kei­ner schlüs­si­gen Kon­zep­ti­on für die Ober­stu­fe. In die­sem Mo­ment den Kom­men­tar (Ach­tung, ich über­trei­be) »Euch geht’s so toll, wir wol­len so­viel Geld wie Ihr« zu hö­ren, klingt in Gym­na­si­al­e­roh­ren durch­aus merkwürdig.

Si­cher­lich, die Be­las­tun­gen im Prim­ar­be­reich sind an­ders als bei uns und das Grund­schul­leh­rer­da­sein ist oh­ne je­den Zwei­fel, min­des­tens durch Lärm und El­tern­ar­beit, kein Zu­cker­schle­cken, aber ne­ben dem oben be­reits Ge­sag­ten kommt hin­zu: Bei al­ler ex­ten­si­ven Vor­be­rei­tung für ir­gend­wel­che The­men wird sich kein Grund­schul­leh­rer wirk­lich neu in kom­ple­xe The­men­be­rei­che ein­ar­bei­ten müs­sen. Zu­min­dest in mei­nen Fä­chern ist es aber im­mer wie­der so, dass durch den mo­du­la­ren Auf­bau der Se­kun­dar­stu­fe II Au­toren oder The­men un­ter­rich­tet wer­den müs­sen, die ich selbst nicht ein­mal an der Uni­ver­si­tät ge­lernt ha­be. Ich ar­bei­te mich al­so selbst­stän­dig in die phil­ip­pi­schen Re­den des Ci­ce­ro ein und ana­ly­sie­re die Hal­tung der spä­ten Qing-Dy­nas­tie zur eu­ro­päi­schen Wirt­schafts­expan­si­on in den ost­asia­ti­schen Raum mit be­son­de­rer Be­ach­tung des kon­fu­zia­nisch-si­no­zen­tri­schen Welt­bil­des. Und wenn ich nach dem zwei­ten Durch­gang glau­be: Jetzt kann ich’s! – dann kommt ein neu­es Thema.

Eben­so muss kein Grund­schul­leh­rer mit der Kor­rek­tur­be­las­tung ei­nes Gym­na­si­al­leh­rers klar­kom­men. Ei­ne ty­pi­sche Ge­schichts­ar­beit schon in Jahr­gang 10 kommt mit durch­schnitt­lich 6–7 Sei­ten da­her. Im Jahr­gang 11 kommt dann die Fach­ar­beit, in Jahr­gang 12 die Klau­su­ren nach Art und Dau­er so­wie das Ab­itur. Wer das ein­mal voll­stän­dig durch­ge­ar­bei­tet hat – Erst­kor­rek­tur des Prü­fers, Zweit­kor­rek­tur des Kor­re­fe­ren­ten, Gut­ach­ten­er­stel­lung in Ab­spra­che, Prü­fung durch den Fach­prü­fungs­lei­ter, An­pas­sun­gen an Kor­rek­tu­ren und Gut­ach­ten, letzt­gül­ti­ge Ab­ga­be –, der weiß, war­um Gym­na­si­al­leh­rer rund 400 Eu­ro mehr im Mo­nat ver­die­nen. Kei­ner mei­ner Kol­le­gen an der Grund­schu­le nimmt hun­der­te Sei­ten Kor­rek­tu­ren in al­le klei­nen Fe­ri­en mit. Kei­ner mei­ner Kol­le­gen an der Grund­schu­le ver­bringt au­ßer­dem teils mo­na­te­lang je­des Wo­chen­en­de am Schreib­tisch und kor­ri­giert Klas­sen­ar­bei­ten und Klausuren.

Fa­zit: Ich glau­be, die Po­li­tik lädt ak­tu­ell von ver­sem­mel­ter In­klu­si­on über aus der Not ge­bo­re­ner Be­treu­ung min­der­jäh­ri­ger Ge­flüch­te­ter bis hin zur über­has­te­ten Rück­kehr zu G9 zu vie­le Pro­ble­me bei Leh­rern ab. Na­tür­lich kann man der Mei­nung sein, mehr Geld wä­re hier ein an­ge­mes­se­ner Aus­gleich. Ich per­sön­lich wür­de aber ein durch­dach­te­res Agie­ren der Po­li­tik be­vor­zu­gen; das wür­de uns al­le ent­las­ten. Au­ßer­dem se­he ich aber tat­säch­lich ei­nen Un­ter­schied in der Art von Ar­beit, wie sie an Grund­schu­len ei­ner­seits und an Gym­na­si­en an­de­rer­seits ge­leis­tet wird; ei­nen Un­ter­schied, der mei­ner Mei­nung nach ei­ne un­ter­schied­lich ho­he Be­sol­dung recht­fer­tigt. Ein­zig wenn wei­ter­hin den Grund­schu­len der Nach­wuchs aus­bleibt, kann das in der Po­li­tik zu ei­nem Um­den­ken füh­ren – wenn nie­mand be­reit ist, für A12 in der Grund­schu­le zu ar­bei­ten, könn­te sich die Lan­des­re­gie­rung ge­zwun­gen se­hen, A13 als ei­nen Mo­ti­va­tor zu be­nut­zen. Das ist dann frei­lich ei­ne po­li­ti­sche Entscheidung.

PS: Letz­ten En­des zwei Wor­te an all je­ne, die sich nicht mit sach­li­cher Kri­tik, son­dern mit Ver­ach­tung und teils blan­kem Hass in mei­ner In­box ver­ewigt ha­ben: Ich ha­be am Don­ners­tag, den 3. März 2016, et­wa 60 Mi­nu­ten auf das In­ter­view­team des Nord­deut­schen Rund­funks ver­wen­det. Selbst wenn sich die kom­plet­ten drei­ein­halb Mi­nu­ten Vi­deo­clip nur um mich ge­dreht hät­ten, wä­ren den­noch be­reits 94% des Ma­te­ri­als raus­ge­schnit­ten wor­den. In der ge­bo­te­nen Kür­ze der Zeit war es we­der Auf­ga­be noch In­ten­ti­on der Jour­na­lis­ten, ei­ne aus­ge­wo­ge­ne Dar­stel­lung al­ler Ar­gu­men­te zu brin­gen, son­dern selbst­re­dend su­chen sie sich ein, zwei Äu­ße­run­gen, um die ge­gen­sätz­li­chen Po­si­tio­nen mög­lichst zu­ge­spitzt auf den Punkt zu brin­gen. Das zu er­ken­nen, so­viel Re­fle­xi­on und Me­di­en­kom­pe­tenz hät­te ich von stu­dier­ten Mit­men­schen er­war­tet. Und mehr noch: Wer für der­art kräf­ti­ge Lohn­stei­ge­run­gen ein­tritt – von dem möch­te ich nicht nur bes­se­re Ar­gu­men­te er­war­ten, son­dern auch ei­nen sou­ve­rä­ne­ren Um­gang mit Kri­tik an die­ser Forderung.