Deutsche Sprache – schwere Sprache

Die Aus­sa­ge »deut­sche Spra­che – schwe­re Spra­che« tref­fen selbst Mut­ter­sprach­ler bis­wei­len; al­ler­dings sa­gen wir Deut­schen dies meist, wenn wir uns ei­ner Form un­si­cher sind: beim nord­deut­schen »sie fragte/​frug nach dem Weg« oder, et­was säch­si­scher, »er könn­te, wenn er nur wollte/​wöllte«, bei den Fra­gen, wie der Plu­ral von »Aus­puff« heißt und war­um »öf­ter« ei­gent­lich schlech­ter Stil ist. – Für Nicht­mut­ter­sprach­ler ist Deutsch aber aus ganz an­de­ren Grün­den schwie­rig, wie die­ser schlech­te Scherz thematisiert:

Tat­säch­lich ist die schie­re Men­ge an zu ler­nen­dem Vo­ka­bu­lar un­über­schau­bar groß. Da­mit mei­ne ich gar nicht die Be­griff­lich­kei­ten, die bis­wei­len ih­ren Weg ins In­ter­net fin­den wie »Wald­ein­sam­keit« – wo sich mir eher die Fra­ge stellt: gibt es ir­gend­je­man­den, der das ernst­haft je ver­wen­det hat? Mo­dell: »Oh, mich ge­lüs­te­te so­eben nach ei­nem Weil­chen an Wald­ein­sam­keit«? – oder das in­zwi­schen üb­ri­gens wie­der ab­ge­schaff­te Buch­sta­ben­mons­trum »Rind­fleisch­etikettierungs­überwachungs­aufgaben­übertragungs­gesetz«, eben­so­we­nig mei­ne ich das al­te Twa­in-Zi­tat, wo­nach das deut­sche Mäd­chen ein Neu­trum sei, die Rü­be aber weib­lich (bei­des rich­tig, kann man aber ler­nen), son­dern viel­mehr die Tat­sa­che, dass wir Deut­schen da­zu nei­gen, Din­ge über­mä­ßig prä­zi­se zu for­mu­lie­ren. Bei­spiel? Ger­ne. Das eng­li­sche Verb »to ch­an­ge« heißt wahl­wei­se »än­dern«, »ver­än­dern«, »sich ver­än­dern«, »wech­seln« oder »aus­wech­seln«, »sich um­zie­hen« (aber nicht »um­zie­hen«!), »um­stei­gen«, »um­schal­ten«, »um­tau­schen« bzw. »tau­schen« oder »aus­tau­schen«, »ver­wan­deln«, »sich ver­wan­deln«, »um­wan­deln«, manch­mal auch mit Sub­text »ver­bes­sern« bzw. »ver­schlech­tern« mit oder oh­ne »sich« und, wenn es um Wind und Wet­ter geht, auch schon mal »sich dre­hen« oder »um­schla­gen«… Das LEO-Wör­ter­buch lis­tet 118 deut­sche Ent­spre­chun­gen für »to ch­an­ge« auf, die je­weils nur in ganz spe­zi­el­len Bei­spie­len rich­tig an­ge­wen­det sind. Üb­ri­gens ha­ben na­tür­lich auch deut­sche Ver­ben Stamm­for­men, die je­des Mal mit­ge­lernt wer­den müssen.

Ein ähn­li­cher Grenz­fall, der mir im­mer wie­der be­geg­net, sind die zwei Ver­ben »ken­nen« und »wis­sen«. Bei­des wä­re im Eng­li­schen »to know«, im Fran­zö­si­schen »sa­voir« und im Ser­bi­schen »знати/​znati«. Hilfs­wei­se er­klä­re ich als alt­sprach­lich ge­drill­ter Gram­ma­ti­ker, dass »ken­nen« mit Ob­jek­ten funk­tio­niert, »wis­sen« mit Ne­ben­sät­zen: »Ich ken­ne den Mann«, aber »Ich weiß, wie der Mann heißt«. Al­lein, das klappt nicht im­mer: »Ich ken­ne die Ant­wort nicht« ist lei­der ge­nau­so deutsch wie »Ich weiß die Ant­wort nicht«. Um­ge­kehrt funk­tio­niert »Ich ken­ne dich« zwar per­fekt, »ich weiß dich« hin­ge­gen ist Murks. War­um? Man weiß es nicht. Zwar gibt es ne­ben der gram­ma­ti­schen An­lei­tung auch noch ei­ne se­man­ti­sche, wo­nach »wis­sen« sich auf Fak­ti­sches be­zie­he, »ken­nen« hin­ge­gen ei­ne per­sön­li­che Be­zie­hung her­stel­le – und doch wür­de ich »ich ken­ne dei­ne Te­le­fon­num­mer« im­mer als ge­bräuch­li­cher an­se­hen denn »ich weiß dei­ne Te­le­fon­num­mer«. Heißt das nun, dass ich ei­ne per­sön­li­che Be­zie­hung zu ei­ner Zif­fern­fol­ge auf­ge­baut habe?

Es ist fer­ner nicht so, dass un­se­re Gram­ma­tik nicht ver­gleich­ba­re Fall­stri­cke be­reit­hiel­te. Ver­glei­chen wir wie­der mit dem Englischen:
• When I see you, I am hap­py. When I saw you, I was happy.
Wenn ich dich se­he, bin ich glück­lich. Als ich dich sah, war ich glücklich.
Der ho­mo theo­dis­cus scheint ernst­haft bei solch simp­len Zu­sam­men­hän­gen à la »Je­man­des An­blick er­zeugt po­si­ti­ve Ge­füh­le« strikt un­ter­schei­den zu müs­sen, ob das nun in der Ge­gen­wart pas­siert oder in der Ver­gan­gen­heit pas­siert ist. Er­neut be­nö­tigt ein Wort (»when«, »quand«, »кад/​kad«) zwei Ent­spre­chun­gen, in­klu­si­ve der 50%-Lotterie, ob man nun im Ei­fer des Ge­fechts ge­ra­de zur rich­ti­gen Sub­junk­ti­on greift.

Auch die Ka­sus brin­gen ih­re ei­ge­nen of­fe­nen Fra­gen mit sich. Laut Lehr­buch be­nutzt man den Da­tiv für Po­si­tio­nen und den Ak­ku­sa­tiv für Be­we­gun­gen: »Ich le­ge das Buch auf den Tisch« (Be­we­gung), aber »Das Buch liegt auf dem Tisch« (Po­si­ti­on). Wenn aber Se­bas­ti­an Vet­tel auf dem Nür­burg­ring fährt, ist es dann kei­ne Be­we­gung mehr?

Als wenn die ge­schil­der­te Pro­ble­ma­tik noch nicht ab­schre­ckend ge­nug wä­re, mul­ti­pli­zie­ren wir sie jetzt noch – und zwar ers­tens mit den un­ter­schied­li­chen Sprech­ebe­nen: Schrei­be bit­te nicht »das war geil« und sa­ge bit­te nicht »es er­freu­te mich«. Und all dies zwei­tens mal­ge­nom­men mit der An­zahl un­ter­schied­li­cher Stan­dard­va­rie­tä­ten zwi­schen Sylt und Süd­ti­rol. Kurz­um: Ich ha­be wäh­rend mei­nes Aus­lands­auf­ent­halts nicht nur mei­nen Re­spekt vor al­len Aus­län­dern ma­xi­miert, die sich fro­hen Mu­tes und mit teils un­glaub­li­cher Mo­ti­va­ti­on an die­se schwie­ri­ge Spra­che her­an­wa­gen, son­dern zie­he auch mei­nen Hut vor all je­nen, die es tat­säch­lich schaf­fen, Deutsch auf mut­ter­sprach­li­chem Ni­veau zu meis­tern! Rea­lis­ti­scher ist es, es mit Al­fred Pol­gar zu halten:

»Ich be­herr­sche die deut­sche Spra­che. Aber sie ge­horcht nicht immer.«