Leben im Ausland: Der »Nutella-Konflikt«

Wenn am Tag der Plä­doy­ers im NSU-Pro­zess die Ta­ges­schau pro­mi­nent über den »Nu­tel­la-Kon­flikt« be­rich­tet, möch­te auch ich zu die­sem hei­ßen The­ma mei­nen Senf da­zu­ge­ben dür­fen – es han­delt sich zwar nicht um Schu­li­sches, aber ich kann mit mei­ner Aus­lands­schul­erfah­rung ein we­nig da­zu sa­gen. Wor­um geht’s? Die so ge­nann­ten »Vi­segrád-Staa­ten«, al­so Po­len, Tsche­chi­en, Slo­wa­kei und Un­garn be­schwe­ren sich in der EU, dass ih­re Bür­ger für mehr Geld schlech­te­re Qua­li­tät bei Mar­ken­pro­duk­ten er­hal­ten. Nun, über schlech­te­re Qua­li­tät kann ich we­nig sa­gen, ich bin kein Le­bens­mit­tel­la­bor, aber hö­he­re Prei­se für Mar­ken­ar­ti­kel sind in Ost­eu­ro­pa tat­säch­lich Stan­dard. Ich hab da mal Bei­spie­le aus Ser­bi­en gesammelt.

Bei­spiel 1: Nu­tel­la. Mit­tels kauf​da​.de und ceno​te​ka​.rs ha­be ich ak­tu­el­le An­ge­bo­te her­aus­ge­sucht und voi­là: Re­al bie­tet ge­ra­de das Glas für 2,89 € an, Aman für 289,99 Di­nar. Bei ei­nem Um­rech­nungs­kurs von rund 120 Di­nar pro Eu­ro* könn­ten die Ser­ben al­so so­gar knapp als Sie­ger aus dem Ver­gleich raus­ge­hen. Denkt man. Und zwar ge­nau bis zu dem Mo­ment, in dem man auf den In­halt ach­tet: für 2,89 € be­kommt der deut­sche Kun­de 750 Gramm Nuss-Nou­gat-Creme, der ser­bi­sche Kun­de hin­ge­gen nur gut die Hälf­te, näm­lich 400 Gramm. Nu­tel­la ist al­so selbst im bes­ten Fall – und 289,99 Di­nar sind ein gu­tes An­ge­bot! – über 50% teu­rer als in Deutsch­land. We­gen der scho­ckie­ren­den Prei­se wird das 750-Gramm-Glas gar nicht erst über­all an­ge­bo­ten; wer es im An­ge­bot hat – bei­spiels­wei­se Ro­da oder Ma­xi – ver­kauft es zum Preis von 669,99 Di­nar. Das sind 5,55 €, mit­hin 92% mehr als das deut­sche An­ge­bot; im Uni­ver­ex­port kos­tet das gro­ße Glas 696,99 Di­nar und ist da­mit ex­akt dop­pelt so teu­er wie in Deutschland.

Ganz ähn­lich beim 2. Bei­spiel: But­ter. Fa­mi­la hat ge­ra­de Mar­ken­but­ter im An­ge­bot; Kos­ten­punkt: 1,69 € pro Stück. Im Preis­ver­gleich gibt es die güns­tigs­te ser­bi­sche But­ter bei DIS und zwar für 155,99 Di­nar. Tat­säch­lich je­doch liegt hier das­sel­be Pro­blem vor wie bei den bei­den Nu­tel­la­glä­sern: Ser­ben kau­fen But­ter nicht in 250-Gramm-Pa­ckun­gen, wie sie in Deutsch­land üb­lich sind, son­dern nor­ma­ler­wei­se in Pa­ckun­gen zu le­dig­lich 125 Gramm. Mit­hin ist die But­ter in Ser­bi­en auch gan­ze 53% teu­rer. Bei Al­di zahlt man üb­ri­gens nur 1,29 € pro Stück But­ter, wo­mit wir auch hier den Fall hät­ten, dass die Ser­ben ex­akt dop­pelt so viel zah­len müs­sen wie die Deutschen.

Die­ses Phä­no­men ist nicht an­ders, wenn man vom Le­bens­mit­tel- in den Non­food-Be­reich wech­selt. Bei­spiel Nr. 3: Kos­me­tik. Auch in Ser­bi­en gibt es Fi­lia­len vom »dm Dro­ge­rie­markt« und das Sor­ti­ment ist na­he­zu iden­tisch. Jetzt im Som­mer ist bei­spiels­wei­se Son­nen­creme im An­ge­bot, 200 ml von Ambre So­lai­re, Licht­schutz­fak­tor 30. An der ser­bi­schen dm-Kas­se leuch­ten 669 Di­nar auf, in Deutsch­land 4,95 €. Schon das sind mehr als 10% ex­tra auf den hie­si­gen Preis. Rech­net man das An­ge­bot raus und ver­gleicht die bei­den Stan­dard­prei­se, zahlt der ser­bi­sche Kun­de 40% mehr als der deut­sche. Das zieht sich durch die ge­sam­te Pa­let­te: Egal ob Sham­poo, Zahn­pas­ta, Duft­spray oder Weich­spü­ler – die Di­nar­prei­se für Mar­ken­pro­duk­te lie­gen im­mer 10 bis 100% über deut­schen Europreisen.

Hin­zu kommt: All die­se hö­he­ren Prei­se sind im­mer noch nicht kauf­kraft­be­rei­nigt! In­so­fern darf man hin­zu­fü­gen, dass der durch­schnitt­li­che Mo­nats­lohn in Ser­bi­en 391 Eu­ro net­to be­trägt (Stand: Mai 2017). In Deutsch­land be­trug er im ver­gan­ge­nen Jahr 2.270 Euro.

Dass ein Glas Nu­tel­la al­so in Ser­bi­en fak­tisch 2,50 € und »ge­fühlt« (al­so bei ei­nem fünf­fach nied­ri­ge­ren Durch­schnitts­ein­kom­men) mit weit über 10 € zu Bu­che schlägt, ist hin­rei­chend un­schön. Die span­nen­de Fra­ge aber ist: Wor­an liegt das? Hier spie­len zwei Fak­to­ren ei­ne Rol­le. Ers­tens Zoll und Steu­ern. Je­der Im­port in die Re­pu­blik Ser­bi­en wird an der Gren­ze mit 10% Zoll und 10 bzw. 20% Mehr­wert­steu­er be­preist. Wenn ich al­so ein Nah­rungs­mit­tel­pro­dukt zu 1 € oh­ne Steu­ern ver­kau­fe, steht auf dem deut­schen Preis­schild 1,07 € als Preis – 1 € für mich und 0,07 € Mehr­wert­steu­er für die Bun­des­re­pu­blik. Am ser­bi­schen Preis­re­gal steht hin­ge­gen 1,20 € – im­mer noch 1 € für mich, aber 0,10 € Zoll und 0,10 € Mehr­wert­steu­er für den Bel­gra­der Fis­kus. Falls es kei­ne Nah­rung ist und wir den vol­len MwSt-Be­trag zah­len müs­sen, sind es 1,19 € zu 1,30 €. Ser­bi­en ist al­so grund­sätz­lich teu­rer für al­les, was im­por­tiert wer­den muss! (Um­ge­kehrt sind im Land pro­du­zier­te Pro­duk­te oft­mals deut­lich güns­ti­ger, al­so Obst, Ge­mü­se, Back­wa­ren usw.)

Jetzt könn­te man ja aber auf die kauf­män­ni­sche Idee kom­men, man müs­se in Ser­bi­en kon­kur­renz­fä­hig blei­ben, al­so viel­leicht die Ge­winn­span­ne et­was re­du­zie­ren. – Tut aber nie­mand. War­um? Nun, mei­ne ser­bi­sche Nu­tel­la kau­fe ich als End­ver­brau­cher viel­leicht bei Shop&Go. Oder bei Ma­xi. Oder im Tem­po-Groß­markt. In je­dem Fall kau­fe ich sie dann bei ei­nem Su­per­markt der bel­gi­schen Grup­pe Del­hai­ze Ser­bia. An­sons­ten ge­he ich viel­leicht zu Idea, Ro­da, Me­ga­Ro­da oder in den Mer­ca­tor-Groß­markt. In die­sen Fäl­len steckt je­weils die kroa­ti­sche Agro­kor-Grup­pe da­hin­ter. Die­se bei­den tei­len ei­nen Groß­teil des ser­bi­schen Mark­tes un­ter ein­an­der auf. Wer nicht bei ei­ner die­ser bei­den Ket­ten ein­kau­fen möch­te, hat we­nig Aus­wahl: Aman oder Aro­ma sind meist win­zi­ge Läd­chen. Su­per­märk­te im ei­gent­li­che Sin­ne gibt es von DIS, Uni­ver­ex­port oder Su­per­Vero, aber die sind rar ge­sät: Bel­grad hat für 1,3 Mil­lio­nen Ein­woh­ner ex­akt drei Fi­lia­len von DIS (al­le­samt am Stadt­rand ge­le­gen), von Uni­ver­ex­port gibt es vier (wo­von drei am Stadt­rand lie­gen) und die grie­chi­sche Ve­r­o­pou­los-Grup­pe ist fünf­mal im Stadt­ge­biet ver­tre­ten (da­bei tat­säch­lich zwei­mal zen­trums­nah). – Es exis­tiert al­so, zwei­tens, im Ver­gleich zu Deutsch­land deut­lich we­ni­ger Kon­kur­renz und es gibt vor al­lem nie­man­den, der die Rol­le von Al­di bzw. Lidl über­nimmt und die Prei­se zu­guns­ten der Ver­brau­cher drückt.

Ein­zel­händ­ler nut­zen sol­che Ge­samt­la­gen aus – klar, sie sind ja nicht das Ro­te Kreuz. Ich ha­be frü­her bei­spiels­wei­se über ei­nen län­ge­ren Zeit­raum im­mer wie­der bei Re­al ein­ge­kauft: So­wohl in Alt­warm­bü­chen, am Nord­rand von Han­no­ver, als auch in Co­tro­ceni, ei­nem Stadt­teil von Bu­ka­rest. Ins­be­son­de­re bei Obst und Ge­mü­se war es im Bu­ka­res­ter Wa­ren­haus un­mög­lich, To­ma­ten oh­ne brau­ne Nar­ben, Äp­fel oh­ne Druck­stel­len oder Zi­tro­nen oh­ne Schrum­pel­ef­fekt zu kau­fen. – Und all das zu hö­he­ren Prei­sen, als ich für das op­tisch per­fek­te, auf Hoch­glanz po­lier­te Ge­gen­stück in Nie­der­sach­sen auf den Tisch le­gen muss­te. War­um? Weil Re­al es konn­te. Die ma­kel­lo­se Wa­re geht zu den zah­lungs­kräf­ti­gen Kun­den nach Deutsch­land, die zwei­te Wahl vom Welt­markt wan­dert dort­hin, wo der Kon­kur­renz­druck we­ni­ger spür­bar ist.

In die­sem Sin­ne: Wenn die Un­ter­neh­men be­wusst min­der­wer­ti­ge Wa­re für Ost­eu­ro­pa pro­du­zie­ren – und wer ein­mal ei­ne Ni­vea in Ser­bi­en ge­kauft hat, ahnt, dass der Vor­wurf nicht aus der Luft ge­grif­fen ist –, soll­te das ge­setz­lich un­ter­sagt, min­des­tens aber dem Ver­brau­cher deut­lich trans­pa­rent ge­macht wer­den. Was aber die teils deut­lich hö­he­ren Prei­se an­geht, da ist all­zu oft der Staat selbst der Preis­trei­ber: durch Zöl­le, deut­lich hö­he­re Mehr­wert­steu­er-Sät­ze oder durch die Ver­hin­de­rung von mehr Wett­be­werb. Lidl bei­spiels­wei­se möch­te seit Jah­ren auf den ser­bi­schen Markt, aber die Er­öff­nung der ers­ten Fi­lia­len ist er­neut ver­scho­ben wor­den, dies­mal auf Som­mer 2018. Bis min­des­tens da­hin wer­den wir hier wei­ter­hin Mond­prei­se auf Mar­ken­pro­duk­te zahlen.


*) Der Ta­ges­kurs für den ser­bi­schen Di­nar liegt am heu­ti­gen 19. Ju­li 2017 bei 120,61 RSD für ei­nen Eu­ro ge­mäß xe​.com; nach die­sem Wech­sel­kurs ha­be ich al­le an­ge­ge­be­nen Bei­spie­le um­ge­rech­net und kauf­män­nisch auf die zwei­te Nach­kom­ma­stel­le gerundet.